Das Projekt

Das Projekt ‚Hapaxon‘ befasst sich mit einer besonderen Gruppe von Wörtern, die in einem bestimmten Textkorpus oder einer bestimmten Zeit nur ein einziges Mal verwendet werden: sprachliche Einmalbildungen, sog. hapax legomena. Derartige Einmalbildungen lassen sich nicht nur regelmäßig in der sich neu etablierenden deutschsprachigen Literatur des Mittelalters greifen. Sie gehören als situative Wortneuschöpfungen auch zu den besonderen Faszinosa mittelalterlicher Wort- und Dichtkunst und stellen die Forschung bis heute vor fundamentale Herausforderungen, da ihr einmaliges Vorkommen keinerlei Vergleiche mit anderen Kontexten erlaubt.

‚Hapaxon‘ reagiert auf ein schwieriges historisches Phänomen und ein ausdrückliches wissenschaftliches Forschungsdesiderat, indem es sich erstmals überhaupt systematisch-umfassend und dabei zugleich auch in innovativer interdisziplinärer Weise sprachlichen Einmalbildungen in einem breiten Skopus auf die deutschsprachige Literatur des Mittelalters vom 12. bis ins 14. Jahrhundert widmet. Mit Hilfe der digitalen Ressourcen und Tools des Akademievorhabens ‚Mittelhochdeutsches Wörterbuch‘, das dem Projekt als das zentrale Epochenwörterbuch des mittelalterlichen (Hoch-)Deutschen (1050–1350) kooperativ zur Seite steht, zielt ‚Hapaxon‘ nicht nur auf eine valide Erhebung eines breiten Datenbestands und den Aufbau einer lexikalisch-semantischen online-Datenbank mit systematischen und dynamischen Suchoptionen. Es nimmt zugleich auch eine sprach- und literaturtheoretische Grundlegung, interdisziplinäre Auswertung sowie lexikonartige Aufbereitung und dynamische Operationalisierung dieses ‚einmaligen‘ Datenmaterials vor, indem es sprach- und literaturwissenschaftliche Ansätze und Methoden im Bereich der Historischen Semantik kombiniert, übergreifende komparatistische und kulturwissenschaftliche Perspektiven mit einschließt und nicht zuletzt auch Erkenntnismöglichkeiten im Schnittfeld von Philologie und Digital Humanities einbezieht. Drei grundlegende Frageperspektiven stehen dabei im Fokus: 1.) Welche sprachlichen Einmalbildungen lassen sich in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters greifen? Was ist die empirische Grundlage? 2.) Welchen sprachlichen und literarischen Bedingungen und Verfahren unterliegen bzw. folgen die verschiedenen Einmalbildungen und die damit einhergehende Sprache und Kunst der Worterfindung in den literarischen Texten? 3.) Welche Semantik und Funktion kommt der situativen Wortneuschöpfung im dichterischen Werk zu und welche Bedeutung hat diese darüber hinaus, etwa im sprachlichen und kulturellen Vergleich mit lateinischen und romanischen Vorlagen, aber auch im Blick auf die historische Entwicklung bzw. Transformation des Wortes im Rahmen der weiteren Rezeption?

‚Hapaxon‘ besitzt den Status eines Grundlagenprojekts, das mit zentralen Fragen wie diesen gleich in dreifacher Hinsicht innovative Ergebnisse und Erkenntnisgewinne erwarten lässt: Erstens wird ein valider Datenbestand mittelhochdeutscher sprachlicher Einmalbildungen erhoben und online zugänglich gemacht, zweitens eröffnet die interdisziplinäre Auswertung, lexikonartige Aufbereitung und dynamische Operationalisierung des Datenmaterials neue sprach- und literaturwissenschaftliche Verständniswege zur Kunst und Semantik der deutschsprachigen Dichtung des Mittelalters, und drittens kann das Projekt damit insgesamt auch neue umfassendere Einblicke in die sprachliche und literarische Kreativität und Innovationskraft der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters geben, die nicht zuletzt auch Brücken zur modernen Sprache, Kunst und Kultur von Worterfindungen schlagen, deren kulturhistorische Tiefe es noch präziser auszuloten gilt.